Wer zu Einfacher Sprache recherchiert, stößt auf Aussagen wie „Einfache Sprache liegt etwa auf Sprachniveau A2″, „Einfache Sprache entspricht Niveaustufe A2/B1″ oder auch „Einfache Sprache umfasst die Niveaus B1 bis B2″. Warum sind die Angaben widersprüchlich? Und ist es überhaupt sinnvoll, Einfache Sprache so zu kategorisieren? Diesen Fragen möchte ich hier auf den Grund gehen.
Inhalt
Warum sind die Angaben zum „Niveau“ Einfacher Sprache widersprüchlich?
Was hat es mit den „Niveaustufen“ auf sich?
Eignen sich die Niveaustufen des GER für Einfache Sprache?
Fazit
Warum sind die Angaben zum „Niveau“ Einfacher Sprache widersprüchlich?
Die Angaben zum „Niveau“ Einfacher Sprache widersprechen sich offensichtlich. Doch das lässt sich leicht erklären: Im deutschsprachigen Raum gibt es keine allgemeingültige Definition Einfacher Sprache. Die Frage, an wen sich Einfache Sprache richtet, wird sehr unterschiedlich beantwortet. Daraus ergeben sich wiederum unterschiedliche Vorstellungen, was sprachliche Einfachheit bedeutet.
Wer in erster Linie Menschen mit geringer Lese- oder Sprachkompetenz als Zielgruppe im Blick hat, vertritt meist eine eher enge Auffassung Einfacher Sprache. Diese Haltung findet sich häufig bei Akteuren, die aus der Grundbildung kommen oder bei Büros für Leichte Sprache, die zusätzlich auch Einfache Sprache anbieten. Sie definieren Einfache Sprache als eine Sprachform, die gegenüber Standardsprache relativ stark vereinfacht ist. Wird ein „Niveau“ angegeben, ist dies meist A2 oder maximal A2/B1.
Daneben existiert eine deutlich erweiterte Auffassung Einfacher Sprache: Sie wird dann auch als Instrument gesehen, um Texte für ein „breites Publikum“ – also letztlich für uns alle – möglichst verständlich zu gestalten. Je nach Adressatenkreis kann ein Text entweder sehr einfach oder durchaus auch etwas komplexer sein. Diese Interpretation Einfacher Sprache geht auf die Plain-Language-Bewegung zurück, die ihren Ursprung im englischen Sprachraum hat. Inzwischen hat sie sich aber auch für das Deutsche etabliert. Falls der Schwierigkeitsgrad mit „Niveaustufen“ beschrieben wird, kann in einigen Fällen auch B2 noch als Einfache Sprache gelten.
Doch woher stammen Bezeichnungen wie A2, B1 und B2? Und was sagen sie konkret aus?
Was hat es mit den „Niveaustufen“ auf sich?
Tauchen im Zusammenhang mit Einfacher Sprache Kategorien wie A2 oder B2 auf, beziehen sie sich meist – explizit oder implizit – auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (kurz: GER). Oder sie lehnen sich zumindest an ihn an. Wer in den letzten Jahren eine Fremdsprache gelernt oder eine Sprachprüfung abgelegt hat, ist dem GER und seinen „Niveaustufen“ vermutlich schon begegnet.
Entwickelt wurde der GER auf Initiative des Europarats, mit dem Ziel Fremdsprachenkenntnisse in den europäischen Sprachen vergleichbar zu machen. Er beschreibt sechs Kompetenzniveaus auf einer Skala von A1 (sehr elementare Kenntnisse) bis C2 (exzellente Kenntnisse). Für verschiedene Aspekte wie mündlicher und schriftlicher Ausdruck, Hörverstehen und Leseverstehen existieren jeweils eigene Skalen. Sie formulieren mithilfe sogenannter „Deskriptoren“ bzw. „Kann-Beschreibungen“, was Lernende einer Fremdsprache bei einem bestimmten Lernstand in dem jeweilgen Bereich können.
Im Kontext Einfacher Sprache sind vor allem die Stufen A2 bis B2 für das Leseverstehen interessant. Der GER definiert die Kenntnisse der Lernenden hier folgendermaßen:
A2: „Kann kurze, einfache Texte lesen und verstehen, die einen sehr frequenten Wortschatz und einen gewissen Anteil international bekannter Wörter enthalten.“
B1: „Kann unkomplizierte Sachtexte über Themen, die mit den eigenen Interessen und Fachgebieten in Zusammenhang stehen, mit befriedigendem Verständnis lesen.“
B2: „Kann sehr selbständig lesen, Lesestil und -tempo verschiedenen Zwecken anpassen und geeignete Nachschlagewerke selektiv benutzen. . . .“
Eignen sich die Niveaustufen des GER für Einfache Sprache?
Anhand der Kann-Beschreibungen wird deutlich, dass der GER nicht etwa den Schwierigkeitsgrad von Texten misst, sondern vielmehr, wie gut jemand Texte lesen und verstehen kann – und zwar in einer Fremdsprache. Lassen sich die Kompetenzstufen des GER dennoch sinnvoll nutzen, um Texte entsprechend ihrer Schwierigkeit bzw. Einfachheit zu kategorisieren?
Auf den ersten Blick erscheint das plausibel. Denn es gibt ja ohne Zweifel einen Zusammenhang zwischen der individuellen Lesekompetenz und den Texten, die man sinnerfassend lesen kann. Zudem ist der GER weit verbreitet: Viele kennen ihn vom Fremdsprachenlernen, und haben eine Vorstellung davon, welche Art von Texten einem auf welchem Niveau normalerweise begegnen. Auch die Niveaubeschreibungen für A2 und B1 geben Beispiele für entsprechende Textarten: kurze, einfache Texte bzw. unkomplizierte Sachtexte.
Allerdings verdeutlichen die Deskriptoren auch, dass der Leseerfolg keineswegs nur von dem jeweils zu lesenden Text abhängt. Wie leicht oder schwer das Lesen fällt, wie verständlich oder unverständlich die Inhalte sind, hängt in hohem Maß von den Voraussetzungen derer ab, die ihn lesen.
Um es konkret zu machen: Die Kann-Beschreibung für A2 legt nahe, dass ein Text dann besser verständlich ist, wenn er internationale Begriffe enthält. Beim Lesen in einer Fremdsprache trifft das sicher häufig zu, da es gerade zwischen europäischen Sprachen erhebliche Überschneidungen im Wortschatz gibt. Angenommen wir verfassen eine Broschüre über einen Naturpark, so ist es also durchaus erwägenswert statt „Tier- und Pflanzenwelt“ „Flora und Fauna“ zu schreiben. Denn das Begriffspaar ist in zahlreichen Sprachen etabliert und für nicht-muttersprachliche Leser und Leserinnen vermutlich leichter zu verstehen. Gleichzeitig sind „Flora und Fauna“ aber Fremdwörter, die möglicherweise für bestimmte andere Lesergruppen eine Hürde darstellen. Um eine valide Aussage treffen zu können, ob ein Text „einfach“ zu lesen ist, ist also auch immer zu berücksichtigen, wer ihn liest. Das gilt natürlich nicht nur in Bezug auf die Sprachkenntnisse, sondern auch mit Blick auf die allgemeine Lesekompetenz und thematische Vorkenntnisse.
Fazit
Der GER hat das Ziel, Sprachkompetenz in Fremdsprachen zu beschreiben und leistet auf diesem Gebiet seit über 20 Jahren gute Dienste. Es ist jedoch nicht seine Aufgabe, Texte hinsichtlich ihrer Einfachheit zu kategorisieren – und er ist dazu auch nur sehr bedingt geeignet.
Es existieren auch Skalen, die zwar in Anlehung an den GER, aber eigens zur Kategorisierung Leichter und Einfacher Sprache enwickelt wurden. Sie können durchaus dazu dienen, Texte grob hinsichtlich ihrer Lesefreundlichkeit oder „Schwierigkeit“ einzuordnen. Sie vermitteln beispielsweise eine Vorstellung davon, wie lang die Sätze und wie komplex die verwendeten Strukturen sind. Aber auch sie sind nicht unproblematisch. Denn sie suggerieren, dass sich allein anhand des Texts ein konkreter Schwierigkeits- bzw. Einfachkeitsgrad bestimmen lässt. Das ist nicht der Fall. Was verständlich und einfach ist, lässt sich nur beurteilen, wenn neben dem Text die Perspektive der konkreten Leserschaft in die Betrachtung einbezogen wird.